Mit den Kurzgeschichten „Ungehört“ von Letizia Avila de Groen und Lara Mertz und „Meine letzten Worte“ von Ace Flaucher und Hannah Krahmer haben es Schüler:innen der Wolf-von-Gemmingen-Schule geschafft, die Jury des Schülerwettbewerbs des Landtags Baden-Württemberg von ihrem schriftstellerischen Talent zu überzeugen. Ace Flaucher und Hannah Krahmer haben sich in ihrer Kurzgeschichte kritisch mit dem Unverständnis einiger gesellschaftlicher Schichten gegenüber genderethischen Fragen auseinandergesetzt und die innere Tragik einer Person offengelegt, die zwischen ihrer Geschlechtlichkeit und der an sie gestellten Rollenerwartung zerrissen wird. Letizia Avila de Groen und Lara Mertz schafften es sogar, mit ihrer Kurzgeschichte durch die Offenlegung des Konflikts einer Schülerin, die zwischen Anpassung an das schulische Ordnungssystem und eigenem politischen Gewissen aufgerieben wird, einen Zweiten Preis der Jury zu gewinnen. Alle Teilnehmer:innen wurden mit einer Urkunde der Landtagspräsidentin Muhterem Aras ausgezeichnet. Letizia Avila de Groen und Lara Mertz wurden darüber hinaus jeweils mit einem Einkaufsgutschein über 35 Euro für den Nachhaltigkeitsshop „Mit Ecken und Kanten“ beschenkt. Ihre Kurzgeschichte „Unerhört“ ist im Folgenden nachzulesen.
UnerhörtVon Letizia Avila de Groen und Lara Mertz
Kennst du das Gefühl, wenn dein Hals sich zusammenzieht und die Tränen in deinen Augen brennen? Genau so geht es mir gerade.
Voller Scham sitze ich an meinem Platz im Unterricht, während mir die Wärme in meine Wangen steigt. Mein Lehrer hat mich vor der ganzen Klasse bloßgestellt. Vor der ganzen Klasse fing er an, mich darüber zu belehren, was angemessene Kleidung in der Schule angeht. Dazu nahm er mein Oberteil als Beispiel und forderte mich auf, mir etwas anderes anzuziehen.
Ich hatte aber nichts dabei, was ich mir überziehen konnte. Darauf schickte er mich zur Direktorin, von der ich dachte, dass sie mir Sympathie entgegenbringen würde. Doch da lag ich falsch.
Als ich ihr die Situation näherbrachte, schüttelte sie nur ihren Kopf.
Ich dachte, sie wäre wütend auf die Lehrkraft, doch das täuschte.
„Das hätte man sich doch auch denken können. So kommt man doch nicht in die Schule“, sagte sie, ohne mich überhaupt anzuschauen. Dann stand sie auf und lief an den Schrank mit den Fundsachen und zerrte einen grünen, kratzigen Wollpullover heraus. Ich war perplex, wir hatten Sommer und da wollte sie, dass ich so etwas anziehe. Ich schaute sie sprachlos an, während sie mir stumm das Kleidungsstück in die Hand drückte. Sie setzte sich an ihren Schreibtisch und würdigte mich keines Blickes.
Ich verlasse das Rektorat und ziehe mir den Pullover über. Ich fühle mich komplett alleine.
Der Druck wird immer stärker und ihre Stimmen immer lauter. Der Pullover klebt an meiner Haut. Mir wird ganz heiß. Der ganze Druck bildet ein Meer um mich, es tritt in meine Lunge ein, ich habe das Gefühl, es erdrückt mich. Es fällt mir schwer, zu atmen. Hilfe. Ich muss nach Hilfe schreien, doch ich weiß, niemand kann mich hören. Niemand wird mir helfen. Ich versuche es, weiter zu atmen, es durchzustehen. Ich darf nicht aufhören. Selbst wenn der Spott nicht aufhört, darf ich nicht innehalten, ich darf auf gar keinen Fall aufhören zu schwimmen. Ich muss weiter kämpfen, für mich und meine Mitstreiterinnen.
Die Frustration frisst sich förmlich durch meinen Körper, mein Kopf fängt an zu schmerzen und mein Herz springt mir fast aus dem Körper. Ich hätte niemals erwartet, dass man mich so direkt konfrontiert, ohne Scham und Sinn.
Fühlst du dich manchmal auch so, als würdest du auf den Grund des Meeres gezogen werden?